Der Herdenschutzhund, Fluch oder Segen?

Autor Annett Hansemann Alpakahof am Czorneboh

Was sind Herdenschutzhunde?

Herdenschutzhunde sind all jene Hunderassen, die gezüchtet wurden, um Nutztierherden vor Beutegreifern und Eindringlingen zu schützen. Sie nehmen keine oder nur eine geringe Hütefunktion wahr. Das Treiben und Zusammenhalten der Herden übernehmen Hütehunde wie Border Collie, Briard oder Australian Cattle Dog.
Der Körperbau und das Wesen der Herdenschutzhunde, gepaart mit einem stark entwickelten Schutztrieb, machen sie zu außerordentlich verlässlichen Beschützern von Herden und Territorium.
Primär jedoch gilt das Schutzverhalten dem Territorium, mit allen darauf lebenden Tieren. Demzufolge sind Herdenschutzhunde hoch spezialisierte Territoriumswächter! Die auf dem Territorium lebende Herde wird „unabsichtlich“ mit geschützt. Dabei sollte man sich aber bewusst sein, dass der Hund nicht nur bis zur Grundstücksgrenze schützt, sondern so weit, wie er Bewegungen wahrnehmen kann. Das kann bei freier Sicht bis zu einer Entfernung von 1km sein! Nimmt er also in der Ferne einen „Eindringling“ wahr, möchte er der Sache auf den Grund gehen. Zäune stören ihn dann nicht! Hunde mit einer Schulterhöhe von 80 cm können mühelos einen 1,60 m hohen Zaun überwinden. Um ungewollten „Ausbrüchen“ vorzubeugen, sollte man Vorkehrungen treffen. Das kann ein Sichtschutz in Form einer Hecke oder aber ein ausreichend hoher Zaun (mind. 2,00 m) sein. Will man ganz auf Nummer sicher gehen, kann man am oberen Ende des Zaunes noch ein breites Maschendrahtgeflecht anbringen, welches sich etwa 30 Grad nach innen neigt.

Das besondere Wesen der Herdenschutzhunde

Sie sind unbestechliche Wächter, die weitgehend unabhängig vom Menschen selbstbewusst und selbständig ihre Arbeit tun.
Herdenschutzhunde sind äußerst sensibel, feinfühlig und besitzen eine magische Ausstrahlung.
Ihre Unabhängigkeit verleiht ihnen eine Würde, die selten im Tierreich zu finden ist. Die Selbständigkeit der Herdenschutzhunde und ihre damit verbundene Abneigung, auf Befehle ihrer Besitzer zu hören, ist legendär. Es gibt das nette und absolut zutreffende Sprichwort:

„Ein Herdenschutzhund hört aufs Wort…. nur nicht auf´s erste!“

Genau an diesen Satz muss ich sehr oft denken, wenn ich der Meinung bin unsere eigene Herdenschutzhündin Donatella hat mit ihrem Gehör Probleme.
Begonnene Arbeiten stellt sie erst fertig, dann kommt sie meiner Aufforderung nach!

Haltung der Herdenschutzhunde

Das ursprüngliche und unverfälschte Wesen stellt an seine Besitzer besondere Anforderungen. Mit Hinblick auf die überfüllten Zwinger in Tierheimen sollte es absolute Verpflichtung für jeden sein, sich vor! der Anschaffung eines Herdenschutzhundes umfassend zu informieren und kritisch zu hinterfragen, ob man dem Wesenstyp des Herdenschutzhundes auch wirklich gerecht wird!
Das gilt im Übrigen natürlich für alle Tiere, einschließlich unserer Alpakas!
Vor! einer solchen Anschaffung sollte man also sein Wissen erweitern, die Haltungsbedingungen optimieren (Zäune hoch und stabil?), bisher erlernte Ausbildungsmethoden anpassen, oder gleich über Bord werfen! Jeder Herdenschutzhund wird sich erfolgreich halbherzigen Erziehungsversuchen widersetzen.
Man muss damit rechnen, dass überdurchschnittlich viel Zeit, Mühe und Kosten aufgebracht werden müssen, um einen schwierigen Charakter auszubilden. Oftmals müssen sogar die Lebensgewohnheiten geändert werden. (Schoke, „Herdenschutzhunde“)
Wichtig wäre auch zu erwähnen, dass Herdenschutzhunde besonders in der Nacht arbeiten und auch dann das Erscheinen eines potenziellen Eindringlings anzeigen. Sind die Nachbarn so tolerant? Wobei es auch dafür ein tolles Sprichwort gibt:

„Der eigene Hund macht keinen Krach… er bellt nur!“

Man wird mit einem Hundetyp konfrontiert, auf den die mit anderen Rassen gesammelten Erkenntnisse und Erfahrungen nur bedingt anwendbar sind.
Nach der Anschaffung werden sich Lebensgewohnheiten und Lebensmittelpunkt grundlegend ändern! Nur wenn man bereit ist diese positiven und negativen Veränderungen zu tragen, sollte man weiter über die Anschaffung eines Herdenschutzhundes nachdenken!

„Wer darüber hinaus meint, durch den Besitz eines Herdenschutzhundes sein Image aufpolieren zu können, wird Schiffbruch erleiden und feststellen, dass diese Hunde zu unbekannt, zu schwer zu führen und zu eigensinnig sind, um dem angestrebten Ziel zu dienen.“ (Schoke, „Herdenschutzhunde“)

Deshalb der dringliche Aufruf an alle Hundefreunde sich die Anschaffung eines Hundes zweimal, die eines Herdenschutzhundes dreimal zu überlegen! Gleiches gilt natürlich auch für die Zucht mit diesen Hunden.
Nichts ist schlimmer für diese sensiblen Tiere, als wenn sie einen permanenten Besitzerwechsel durchmachen müssen, oder früher oder später im Tierheim landen!

Die Faszination dieser Hunde ist nüchtern nur schwer zu erklären. Wer einmal mit dem „Herdenschutzhund-Virus“ befallen ist, wird sich kaum einer anderen Rasse zuwenden können. Die Sturheit dieser Hunde macht sie so absolut liebenswert. Man muss nicht verrückt sein, um einen Herdenschutzhund zu halten, aber es macht die Sache entschieden leichter!

Auch wir sind unserer Herdenschutzhündin Donatella mit Leib und Seele verfallen!
Sie wurde 2007 in der Nähe von L`Aquila, Italien, in einer Schafherde geboren. Sie gehört zur Rasse der Maremmano. In ihrem Geburtsland trägt diese Rasse den klangvollen Namen „Cane da Pastore Maremmano Abruzzese“. Die Entstehung des Namens geht auf das Herkunftsgebiet zurück. Die Maremmen sind ein Küstenstreifen im westlichen Mittelitalien. Im mittleren Teil werden die Maremmen von der fruchtbaren Ebene des Tibers durchschnitten. Südöstlich des Tibers liegen die Abruzzen. Sie bilden die höchste Gebirgsgruppe der Apennin.

Donatella kam im Alter von 12 Wochen per Luftfracht auf dem Flughafen Prag an. Wir nahmen ein kleines, lebhaftes und neugieriges Hundekind in Empfang. Den Flug und die soziale Veränderung (Mama und Geschwister plötzlich weg) hatte sie offensichtlich gut verkraftet. Die Heimfahrt im Auto schien sie auch zu genießen.



Daheim angekommen durfte sie als erstes den Hof begutachten. Nachdem sie alles erkundet hatte, haben wir sie unseren Alpakas vorgestellt. Durch einen Zaun voneinander getrennt haben sich nun alle neugierig bestaunt und beschnüffelt. Donna zeigte nur wenig Scheu. Die Alpakas waren größtenteils weiß, hatten Wolle und dufteten nach Heu… das muss sie irgendwie an zu Hause erinnert haben. Nur die großen Tiere hatten ein bisschen Angst vor dem kleinen quirligen Bündel! Wir ließen Hund und Alpakas nun etwa 2 Wochen Zeit sich durch den Zaun kennenzulernen. Danach durfte sie ihr Lager im Stall beziehen und mit ihrer Arbeit beginnen. Alle Bewohner gewöhnten sich sehr schnell aneinander, denn jeder merkte dass vom anderen keine Gefahr ausgeht.
Mittlerweile ist Donatella 5 Jahre, und unsere treueste Mitarbeiterin. Fleißig bewacht sie ihr Territorium, checkt die Reviergrenzen und hält sich immer in der Nähe der Alpakas auf. Am wohlsten fühlt sie sich in der Nähe unseres Herdenältesten, ein 12 jähriger brauner Hengst. Er strahlt Ruhe aus und ist auch nicht aufdringlich. Nachts kuschelt sie sich zwischen den Alpakas ein und lässt sich von ihnen wärmen. Bis ein Geräusch ihre Aufmerksamkeit erregt. Dann ist sie sofort hellwach!

Morgens nach der Fütterung ist ihre erste Arbeit die Reviergrenzen zu checken und sich ein Bild von der aktuellen Lage zu machen. Da kann sie auch keiner davon abhalten.
Da Donna hauptsächlich nachts arbeitet, scheint sie tagsüber öfter einmal ein Nickerchen zu machen. Aber auch da ist sie immer in Alarmbereitschaft. Scheinbar unbeteiligt liegt sie dösend auf der Weide um in der nächsten Sekunde den vermeintlichen Eindringling mit ihrer Präsenz aufzuhalten. In der Regel reicht es schon, wenn sie ohne jede Lautäußerung hinter dem Zaun Stellung bezieht. Ihre Körpersprache ist Kommunikation genug um unerwünschtem Besuch Einhalt zu gebieten. Jeder Fremde wird erst einmal gemeldet und beobachtet. Gibt es von uns Entwarnung, zieht sie sich zurück. Solltees jedoch mal jemand wagen ohne unsere Anwesenheit ihr umzäuntes Territorium zu betreten, würde sie nach Vorwarnung diese Person stellen und später sicher auch ihre Waffen einsetzen.




Als Abschlusssatz möchte ich ein Zitat anbringen, welchem eigentlich nichts mehr hinzuzufügen ist:

„Gute Arbeitshunde entstehen aus dem Zusammenwirken rassetypischer Verhaltensmerkmale, optimaler Sozialisation, kompetenter Ausbildung und einem guten Teil Glück!“
(U.Gansloßer, „Verhaltensbiologie für Hundehalter“)

Literaturempfehlung und Quellenangabe:
„Herdenschutzhunde“ – Thomas Achim Schoke
„Hunde“ – Ray und Lorna Coppinger
„Die alten Hirtenhunde“ – Gudrun Beckmann
„Herdenschutzhunde- die verkannten Wesen“ – Mirjam Cordt
„Verhaltensbiologie für Hundehalter“ – Dr.Udo Gansloßer


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